Das Blut des Assassinen: Roman (German Edition) by Lake Nick

Das Blut des Assassinen: Roman (German Edition) by Lake Nick

Autor:Lake, Nick [Lake, Nick]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2014-03-30T22:00:00+00:00


Kapitel 35

Bis Tarō die bergige Gegend um Atami in der Nähe von Shirahama erreichte, war es Hochsommer. Er hatte Blasen an den wunden Füßen, und die Trauer um seine Mutter und Hana machte ihm das Herz schwer. Er vermisste auch Hirō – obwohl er allein hatte gehen wollen, wünschte er sich oft, sein Freund wäre bei ihm, um irgendeinen Witz zu machen, ihn aufzuziehen und ihn von seinem Kummer abzulenken. Der Tod seiner Mutter ging ihm ständig im Kopf herum, doch er hatte auch unmittelbare Sorgen – er befand sich nun auf Oda-Land und somit Tag für Tag in Todesgefahr. Er wanderte möglichst nur bei Nacht und mied die Siedlungen, so dass er das Gefühl hatte, die Landschaft bestünde nur aus Bäumen, Flüssen und kalten Felsen.

Er hatte Kaninchen und Vögel gefangen und sich von deren Blut ernährt. Zwei Mal hatte er sogar Reisende überwältigt, die allein unterwegs waren – doch er hatte nicht mehr Blut getrunken, als er brauchte, um nicht zu verhungern. Er ließ sie zwar bewusstlos zurück, achtete aber darauf, sie nicht schwer zu verletzen. Er sagte sich, dass er nicht wie der Kleine Kawabata war. Er musste sich von diesen Leuten nähren, um überleben zu können.

Doch tief im Innern wusste er, dass er kein bisschen besser war als der Kleine Kawabata. Er war ein Vampir, und daran würde sich nie etwas ändern. Er redete sich ein, dass er diese Reise nur unternahm, weil er verhindern wollte, dass die Kugel in die falschen Hände geriet, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er tat es, weil er die Toten zurückholen und Rache üben wollte.

Die Luft hing dunstig über den Hügeln und dem Meer, als hätte die Hitze den Stoff der Welt ausgedünnt. Wenn er sich abends bei Sonnenuntergang auf den Weg machte, ragten die mit Kiefern bedeckten Hänge als dunkelviolette Masse vor der endlosen, dunklen See auf.

Obwohl er nur noch ein paar Handvoll Ri von zu Hause entfernt war, hatte Tarō diese Gegend noch nie durchreist, und sie kam ihm ebenso vertraut wie fremd vor. Er sah Torii und Shintō-Schreine auf den Hügeln und an den Buchten, genau wie in Shirahama, doch sie waren Göttern gewidmet, von denen er noch nie gehört hatte. Sie trugen plastische Namen wie »der Drachen vom Perlensee«.

Im Lauf der Tage und Wochen war Tarōs Glaube immer schwächer geworden, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre – der Glaube an den Buddha, an den grundsätzlich guten Charakter der Welt und sein Vertrauen in andere Menschen. Doch eines Morgens, als er nur noch zwei Tagesmärsche von Shirahama entfernt war, merkte er, wie sein Glaube endgültig brach.

Er ruhte tagsüber im Schatten eines kleinen Wäldchens, ein wenig landeinwärts am Ende einer langen, schmalen Bucht. Tarō sah eine Gruppe Kinder, die am Bach Libellen fingen. Ihrem aufgeregten Geschrei entnahm er, dass sie diese Insekten für die reinkarnierten Seelen uralter Samurai hielten, die in einer gewaltigen Schlacht zwischen den Minamoto und den Taira umgekommen waren.

Während er das beobachtete, spürte Tarō, wie etwas in seinem Inneren verwelkte und starb.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.